Alle reden von CO2-Neutralität – jedoch: Was bedeutet das wirklich?

Der CO2-Kreislauf
Der CO2-Kreislauf ©PP

Wenn heute von Umweltschutz und Klimawandel die Rede ist, fällt immer wieder im Zusammenhang mit CO2-Emissionen, CO2-Reduzierung auch der Begriff CO2-Neutralität. Diese Ausdrücke sind mittlerweile alltagsgebräuchliche Begriffe die von Verbrauchern, Fachleuten und der Medienwelt nicht immer verständlich verwendet werden. Doch was genau bedeutet CO2-Neutralität eigentlich?

CO2-neutral

Das Adjektiv CO2-neutral (oder klimaneutral) wird in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Es sagt aus, dass die Verwendung eines Brennstoffs oder auch eine menschliche Aktivität (z. B. ein Flug oder eine Veranstaltung) keinen Einfluss auf die Kohlendioxid-Konzentration der Atmosphäre hat und insofern nicht klimaschädlich ist. Man spricht deswegen auch von Klimaneutralität. Gelegentlich werden auch geplante Anlagen mit CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS) als CO2-neutral bezeichnet. Dies erlaubt jedoch nur CO2-reduzierte und nicht etwa CO2-freie Energiegewinnung, da nicht alles CO2 abgetrennt und gespeichert werden kann.

CO2-neutrale Brennstoffe

Man könnte erwarten, dass ein CO2-neutraler Brennstoff keinen Kohlenstoff enthält, sodass bei seiner Verbrennung kein CO2 frei wird. Dies ist jedoch nicht so; im Gegenteil wird das Adjektiv meistens gerade im Zusammenhang mit kohlenstoffhaltigen Brennstoffen verwendet. Die CO2-Emissionen bei der Verbrennung können jedoch so kompensiert sein, dass netto kein CO2 der Atmosphäre zugeführt wird, weil anderswo CO2 absorbiert oder weniger emittiert wird.

Sogenannte Biokraftstoffe wie Biodiesel, Bioethanol und Biogas werden aus Pflanzenmaterial (Biomasse) gewonnen. Dieses enthält Kohlenstoff, den es bei seinem Wachstum vollständig in Form von CO2 der Atmosphäre entzogen hat. Wenn zusätzliche Pflanzen für die Kraftstoffgewinnung angebaut werden, wird der Atmosphäre zusätzlich CO2 entzogen, welches die Emissionen bei der Verbrennung im Prinzip kompensieren kann. (Für Einschränkungen hierzu siehe unten.) Wenn es sich um Abfälle handelt, setzt die Verbrennung nur so viel CO2 frei, wie sonst bei der nutzlosen Verrottung ohnehin entstanden wäre.

Ähnliches gilt für Holz. Wenn ein Wald nicht genutzt wird, stellt sich irgendwann ein Gleichgewichtszustand ein, in dem pro Jahr etwa so viel CO2 der Luft entnommen wird, wie bei der Verrottung toter Pflanzen wieder frei wird. (Unter bestimmten Umständen kann der Atmosphäre auch dauerhaft CO2 entzogen werden; dies ist nur möglich, wenn der enthaltene Kohlenstoff in Form von ständig zunehmender Biomasse abgelagert wird, was jedoch meist nicht der Fall ist.) Wenn dem Wald dagegen im Zuge der Nutzung ständig Holz entzogen wird, kann er netto CO2 aufnehmen, so dass die Holznutzung insgesamt CO2-neutral wird.

Die CO2-Neutralität kann in der Praxis daran scheitern, dass bei der Gewinnung von Biokraftstoffen zusätzliche CO2-Emissionen entstehen, insbesondere durch den Kraftstoffverbrauch oder Stromverbrauch von Maschinen, durch die Herstellung von Düngemitteln und Pestiziden, und oft im wesentlichem Umfang auch durch indirekte Landnutzungsänderungen. Wie stark diese Effekte sind, hängt stark von den konkreten Umständen ab. Sehr ungünstig ist z. B. die Herstellung von Bioethanol aus Mais, wo von der theoretischen CO2-Neutralität nur noch ein Bruchteil übrig bleibt. Noch schädlicher kann der Anbau von Ölpalmen auf Flächen sein, die durch Brandrodung von Urwäldern gewonnen wurden. Dagegen können z. B. Biogas und Holz tatsächlich weitestgehend CO2-neutral hergestellt werden, zumindest wenn Abfälle verwertet werden. Wenn Deponiegas genutzt wird, welches sonst unverbrannt in die Atmosphäre gelangen würde, erreicht man mit der Nutzung sogar eine Reduktion der Klimabelastung.

In Zukunft könnten Biokraftstoffe mit noch großtechnisch zu entwickelnden Verfahren hergestellt werden, bei denen nur Pflanzenabfälle und nicht die angebauten Früchte selbst verwendet werden können. In diesem Falle wäre der Anbau der Pflanzen und die damit verbundene Umweltbelastung nicht der Kraftstoffherstellung anzulasten, da der Anbau ohnehin geschieht, insbesondere für die Gewinnung von Nahrungsmitteln und Futtermitteln. Erhebliche technische Schwierigkeiten sind hier jedoch noch zu überwinden, insbesondere weil der Kohlenstoff von Pflanzenabfällen weitgehend in Cellulose gebunden ist, die nur schwer aufgebrochen werden kann. Ein weiteres Problem könnte sein, dass den Böden Mineralstoffe entzogen werden, was durch zusätzlichen Einsatz von Düngemitteln ausgeglichen werden muss. Die Herstellung von Düngemitteln aber ist häufig sehr energieintensiv und klimabelastend. Dem müsste durch eine weitgehende Rückgewinnung der Mineralstoffe z. B. über die Asche begegnet werden.

Es ist zu beachten, dass CO2-neutrale Brennstoffe noch nicht unbedingt klimaneutral sind, wenn andere klimaschädliche Stoffe wie Methan emittiert werden. Vor allem aber bedeutet klimaneutral nicht umweltneutral, da auch andere Umweltbelastungen auftreten können, z. B. durch Pestizide oder durch bei der Verbrennung entstehende Schadstoffe wie Stickoxide oder Ruß. Es hat sich gezeigt, dass etliche Biokraftstoffe insgesamt sogar zu höheren Umweltbelastungen führen als die Verwendung von Erdölprodukten.

CO2-kompensierte Aktivitäten

Bewertung: Sowohl CO2-neutrale Brennstoffe und Kraftstoffe als auch die CO2-Kompensation von Aktivitäten können durchaus wirkungsvolle Mittel für den Klimaschutz sein. Jedoch kann die Wirksamkeit im Einzelfall in Frage gestellt sein durch die oben diskutierten Probleme. Im Zweifelsfall dürfte es ökologisch fast immer besser sein, den jeweiligen Brennstoffverbrauch bzw. die emissionsbehaftete Tätigkeit zu vermeiden. Wo dies aber nicht in Frage kommt, kann eine sorgsam garantierte CO2-Neutralität eine gute Lösung sein. Auch wenn dies manchmal als “Ablasshandel” kritisiert wird, ist es ökologisch bei Weitem besser als die Inkaufnahme von unkompensierten Emissionen.

Wenn die CO2-Neutralität eines Industrielandes hauptsächlich durch Kompensationsmaßnahmen im Ausland erreicht werden soll, so ist dies kritisch zu sehen. Ein Grund hierfür ist die häufig nicht gegebene Additionalität (siehe oben), wodurch ein Teil der CO2-Reduktionen nur auf dem Papier erreicht wird. Ein grundsätzlicheres Problem besteht darin, dass ein wirksamer Klimaschutz ohne starke Emissionsreduktionen in den Industrieländern nicht funktionieren kann, nachdem ein großer Teil der Emissionen dort erfolgt. Zudem dürften wirtschaftlich aufstrebende Länder sich kaum mit niedrigeren Emissionen zufrieden geben, wenn Industrieländer signalisieren, dass solche für sie selbst nicht in Frage kommen.

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta GF der RP Photonics Consulting GmbH, Bad Dürrheim.

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