„Hybrid“ – was heißt das eigentlich?

Der 20. Jahrestag der Deutschen Rechtschreibreform, begangen am 1. August 2016, machte es einmal wieder ganz deutlich: Der korrekte Umgang mit der deutschen Sprache ist mit der Reform nicht einfacher, sondern viel schwieriger geworden. Unternehmen und Hochschulen klagen über die Rechtschreibkenntnisse der Studenten und Absolventen, die weiterführenden Schulen klagen über mangelnde Fähigkeiten der Grundschüler.

Ob „pro“ oder „kontra“ Rechtschreibreform von 1996, in einem Punkt sind sich alle Experten einig: Sich gut ausdrücken zu können und fehlerfrei zu schreiben, ist für jeden wichtig. Gute Sprachbeherrschung ist schließlich der Schlüssel zu erfolgreicher Kommunikation. Doch wenn der allgemeine Sprachgebrauch schon Schwierigkeiten bereitet, wie sieht es dann in der Fachsprache aus?

Seit der Umweltschutz auch den Schiffbau und die Meerestechnik erreicht hat, sind zahlreiche Begriffe für technische Sachverhalte und Produkte in den Vordergrund geraten, über deren Bedeutung und somit korrekten Gebrauch sich kaum noch jemand Gedanken macht. Das gilt zum Beispiel auch für das Wort „hybrid“.

Duden und Brockhaus bieten die Erklärung, „von zweierlei Herkunft“, im Sinne einer Zwitterbildung. Übertragen auf die Antriebstechnik von Schiffen lässt sich somit zweifelsfrei festhalten: Nur der Bezug von Energie aus mindestens zwei verschiedenen, soll heißen unabhängigen Energiequellen, führt zu einem hybriden Antrieb.

Dies vorausgeschickt, lässt sich fragen, wie muss ein solcher Antrieb nun aufgebaut sein? Sobald der Antrieb aus zwei unabhängigen Energiequellen gespeist wird, ist er als hybrid zu bezeichnen. Dieser Fall liegt vor, wenn zum Beispiel ein Dieselmotor und ein Elektromotor über ein gemeinsames Getriebe einen Propeller antreiben. Dabei ist es unerheblich, ob der Elektromotor aus Akkumulatoren gespeist wird, oder seine Leistung von einem Generator bezieht. Es handelt sich um zwei unabhängige Energiequellen, deren Leistung im Getriebe „gemischt“ wird. Hierzu gibt es viele gute Beispiele. Doch vielfach stehlen die schlechten Beispiele den guten die Schau.

Nehmen wir die Indienststellung neuer Lokomotiven im Hamburger Hafen vom Sommer 2016. Da war von der ersten „Hybrid-Rangier-Lok“ die Rede. Ein Blick hinter die Kulissen zeigte schnell: Von hybrid nichts zu sehen.

Was ist an den Rangierlokomotiven der Plattform H3 von Alstom „hybrid“? Der Antrieb der sogenannten Hybrid-Variante der Plattform H3 von Alstom besteht aus drei Elektromotoren, je einer für jede der drei Achsen. Zwar werden diese aus zwei Quellen gespeist, doch beide liefern Strom. Von „zweierlei“ also keine Spur. Auch die „Herkunft“ des Stroms ist dieselbe, denn die in Akkumulatoren gespeicherte Energie und die den Antriebsmotoren vom Generator zugeführte Energie stammen immer aus derselben Quelle: aus dem Kraftstoff, der im Dieselmotor verbrannt wird, der den Generator antreibt. Fazit: Nichts ist hybrid am Antrieb der Rangierlokomotiven der Plattform H3!

Und die Schute „Hummel“, von Becker Marine als „LNG Hybrid Barge“ bezeichnet? Auch hier der Blick hinter die Kulissen: Der Kraftstoff ist Erdgas (Methan), das in Motoren verbrannt wird, die Generatoren antreiben. Eine zweite unabhängige Energiequelle? Fehlanzeige! Was ist also auf der Schute hybrid? Wird da irgendetwas energetisch gemischt? Die Antworten bleiben den Lesern überlassen.

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Hans-Jürgen Reuß
Der Autor betreibt ein Pressebüro mit den Schwerpunkten Schifffahrt, Schiffbau, Schiffbauzulieferindustrie und Schifffahrtsgeschichte.