Umweltfreundliche Abgasreinigung mit Natriumbicarbonat (=Backpulver)

Die Reinigung von Schiffsabgasen ist eine Herausforderung, die mit dem umfassenden Know-how, das der international operierende Technologiekonzern ANDRITZ (Hauptsitz in Graz, Österreich) mit der Lieferung und Optimierung von mehreren hundert Anlagen weltweit gesammelt hat, perfekt vereinbar ist. Im maritimen Bereich bietet das Unternehmen bewährte Techniken, wie z.B. offene und geschlossene Nasswäscher sowie Hybridkonstruktionen an und entwickelt sein Produkt-Portfolio kontinuierlich weiter, um allen Kunden die perfekte Lösung für ihre Anforderungen zu bieten.

Die neueste dieser Entwicklungen ist eine innovative, weltweit erste kombinierte Entschwefelungs- / Entstaubungsanlage auf Basis eines „dry closed-loop“ Systems für die Schifffahrt. ANDRITZ hat dem System die Bezeichnung „SeaSOx dry“ gegeben.

Vor dem Hintergrund der seit einiger Zeit in den Medien kursierenden kritischen Beurteilungen zu „closed- wie auch open-loop“ Scrubbern (siehe hierzu VEUS-Shipping: „Sind Abgaswäscher (Scrubber) für die Schifffahrt Schummelpackungen“?), bietet das SeaSOx dry-System von ANDRITZ vollkommen neue Überlegungen und Anwendungsperspektiven für die Schifffahrt.

VEUS-Shipping (VS) sprach mit dem Vice President „Marine Solutions“, Dr. Klaus Bärnthaler, über das Thema „Abgasreinigung mit Backpulver“

VEUS-Shipping: Herr Dr. Bärnthaler, wie sind Sie auf die Idee gekommen ausgerechnet „Backpulver“ als Abgas-Reinigungsmittel zu nutzen?

Bärnthaler: Backpulver oder Natriumbicarbonat, ist ein Mittel zur Abgasreinigung, welches in einer speziellen Qualität an Land, mit guten Ergebnissen schon lange angewendet wird. Entwickelt wurde dieses Verfahren von dem international tätigen belgischen Chemieunternehmen Solvay, das u.a. auch das Natriumbicarbonat herstellt. Ein Vorteil des Verfahrens ist, dass man bei hohen Abgastemperaturen eine sehr hohe Abscheidung von Schwefeldioxid erreicht. Bei anderen trockenen Verfahren, die sich im Einsatz befinden, wird vor allem Calciumhydroxid eingesetzt. Effizient arbeiten diese Verfahren nur in Kombination mit eingedĂĽstem Wasser, so dass die Abgastemperatur bis in die Nähe des Sättigungspunktes abgekĂĽhlt wird. Das heiĂźt: mit dem Natriumbicarbonat bieten wir ein sehr einfaches Verfahren an, welches sehr gut funktioniert und effizient ist. Während einer Tagung sind wir mit der in Marseille ansässigen Reederei La Meridionale in Kontakt gekommen die an unserem SeaSOxdry System interessiert war. 2018 wurde mit dieser Reederei ein Vertrag fĂĽr ein SeaSOxdry-System unterzeichnet. Nach einer intensiven Planungs- und Bauphase durch die Projektpartner – La Meridionale (Reederei), Solvay (Ver- und Entsorgung der Reaktanden sowie Techniklieferant) und Andritz (Techniklieferant und Industrieanlagenbauer) – erfolgte im April 2019 die Installation. Die PIANA – das Schiff, auf dem die Anlage nachgerĂĽstet wurde – ist eine RoPax-Fähre mit einer Leistung von 9,4 MW pro Hauptmaschine und 1,3 MW pro Generator. Das Schiff hat insgesamt vier Hauptmaschinen und drei Generatoren an Bord. Eine Hauptmaschine und ein Generator wurden an das SeaSOxdry-System angeschlossen. Das System ist seit Mai 2019 voll funktionsfähig. Bestätigt aufgrund zweier Messreihen eines unabhängigen, zertifizierten Testinstituts wurden alle im Vertrag festgelegten Emissionsziele problemlos erreicht; auch beim Betrieb mit schwefelreichem Brennstoff.

VEUS-Shipping: Gibt es Einbau-Unterschiede, sprich Einbauvolumen im Vergleich zu den ĂĽblichen Scrubber-Systemen, natĂĽrlich hier insbesondere zum Wet Closed-Loop System?

Bärnthaler: Ja, da muss man schon sagen, die Volumina sind natürlich größer als die bekannten Closed-Loop Systeme. Das hängt mit der Bauweise des Gewebefilters (auch Schlauchfilter genannt) zusammen.

VEUS-Shipping: Das heißt also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist der SeaSOxdry Prozess etwas voluminöser als ein vergleichbarer Closed-Loop-Scrubber?

Bärnthaler: Je nach Motorleistung wird das Volumen entsprechend angepasst. Grundsätzlich müssen wir aber im Vorfeld eruieren: Wo haben wir Platz? Wie groß ist der Platz? Wie groß ist die zur Verfügung stehende Bauhöhe? Hier (auf der PIANA) hatten wir die maximale Höhe vorgegeben, das heißt wir konnten Filterschläuche von 5,1 m einbauen. Wenn mehr Einbauraum vorhanden ist kommt man mit weniger Kammern aus, kann man höher bauen. Das System ist bezüglich Einbauraum sehr flexibel.

VEUS-Shipping: Da schlieĂźt sich jetzt automatisch die Frage nach dem Gewicht der Anlage an. Die Abgasreinigungsanlagen werden im Schornstein eingebaut und das Gewicht, welches dabei auftritt, ist ja nicht unerheblich und verschiebt damit den Schiffsschwerpunkt nach oben.

Bärnthaler: Richtig.

VEUS-Shipping: Und wie sieht das mit dem SeaSOxdry aus, ist das gewichtsmäßig vergleichbar mit einem anderen trockenen System?

Bärnthaler: Wenn man wirklich Trockensysteme vergleicht, haben wir gegenĂĽber anderen Systemen durchaus Vorteile: Andere Systeme die getestet wurden, sind Festbett – Absorptionsfilter, das sind in der Regel Filter mit einer FĂĽllung von Kalziumhydroxid Granulat, welche durchströmt werden und die sind wesentlich schwerer als unser System, weil wir ja immer nur die notwendige Menge an Absorptionsmittel eindĂĽsen, das entsprechend der gefahrenen Motorlast benötigt wird.

Also im Vergleich zu anderen Trockensysteme sind wird durchaus leichter – im Vergleich zu einem Nasswäscher sind wir jedoch etwas schwerer.

VEUS-Shipping: Gibt es in diesem Zusammenhang mögliche Schiffsrestriktionen, dass nur bestimmte Schiffe damit ausgerüstet werden können?

 Baernthaler:   Nein keine. Das Verfahren funktioniert ĂĽberall.

VEUS-Shipping: Nach welchen Kriterien wird die Menge an NaHCO(Natriumbikarbonat) berechnet die ein Schiff an Bord haben muss? Mit welchem „Backpulverbrauch“ muss gerechnet werden? Das ist ja letztendlich eine Kostenfrage …

Bärnthaler: Das ist ganz klar. Das hängt natürlich davon ab wie groß der Schwefelgehalt im Öl ist und wie weit entschwefelt werden soll. Wenn wir beispielsweise von 3,5 % Schwefel im Schweröl reden, brauchen wir ca. 200 kg Natriumbicarbonat pro Tonne HFO für eine maximale Schwefeldioxidkonzentration von 4,3 ppm / Vol. % CO2 im gereinigten Abgas (äquivalent zu 0,1 % Schwefel im Öl). Wenn wir über 1,5 % Schwefel im Kraftstoff reden, wie am Beispiel der PIANA, rechnen wir mit 88 kg/Tonne HFO. In dieser Größenordnung bewegen sich die Verbräuche. Wenn man natürlich nur auf 0,5 % Schwefel reduziert, dann wird entsprechend weniger verbraucht.

VEUS-Shipping: Das bedeutet, es muss eine entsprechende Lagerkapazität an Bord eingeplant werden.

Bärnthaler: Das ist richtig. Um diese zu berechnen benötigen wir in der Angebotsphase natürlich einige Angaben wie zum Beispiel: Welche Route befährt das Schiff? Wie lange ist es auf See? Wann läuft es welche Häfen an und wo gibt es Möglichkeiten, neue Absorptionsmittel zu laden und das verbrauchte Natriumbikarbonat zur weiteren Verwendung abzutransportieren.

Um beim Beispiel der PIANA zu bleiben – sie fährt zwischen Korsika und Marseille hin und her – reden wir über eine Bunker- Silogröße von ca 50 m3 für Neufüllungen sowie nochmals die gleiche Tankgröße für den verbrauchten Filterkuchen. Die RoPax-Fähre ist normalerweise mit zwei Motoren, die zusammen rund 670 kg/Stunde Natriumbicarbonat verbrauchen (bei 3,5% S), 10 Stunden unterwegs. Somit verbraucht sie rund 6,5 to, entsprechend etwa 6,5 m3.

VEUS-Shipping: FĂĽr welche Fahrtgebiete lohnt sich der Einsatz des neuen umweltfreundlichen SeaSOX dry-Scrubber?

Bärnthaler: Schiffe aller Art die im küstennahen Bereich beziehungsweise in den ECA-Gebieten verkehren sowie Fähren.

VEUS-Shipping: Welche Kosten fĂĽr den Kauf des NaHCO3 (pro kg / to / m3, etc) fallen im Vergleich an?

Bärnthaler: Wir rechnen mit z.Zt. durchschnittlichen Kosten von rund 80 bis 90 EURO pro Tonne Schweröl mit 3,5% Schwefel. Das sind natürlich nur grobe Schätzwerte, sie müssen im Einzelfall evaluiert werden.

VEUS-Shipping: Ist die Versorgung mit dem Material in ausreichender Menge überall auf der Welt (bei internationalem Einsatz der Schiffe) gewährleistet (weltweite Infrastruktur Natriumbicarbonat)?

Bärnthaler: Solvay hat ein globales Vertriebsnetz, das Unternehmen ist weltweit mit Produktionsanlagen und Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen tätig.

VEUS-Shipping: In erster Linie ist natürlich die Bestimmung der Reststoffmengen von Wichtigkeit. In welchen Abständen entsteht wieviel Rückstand? Mit anderen Worten: In welchen Zeitabständen müssen die Filter zurückgespült / gereinigt werden (jede Stunde, einmal am Tag, einmal pro Woche)?

Bärnthaler: Das ist ein kontinuierlicher Prozess. Also, der Filter ist durchgehend in Betrieb und wird laufend gereinigt. Ein kompletter Reinigungsvorgang dauert in etwa 60 min. Wenn der durchlaufen ist wird wieder von vorn begonnen und dieser Reinigungszyklus beeinflusst die Funktionsweise des Filters in keiner Weise.

VEUS-Shipping: Was geschieht mit dem verbrauchten „Filterkuchen“? Muss er an Land entsorgt werden? Wie erfolgt die weitere Aufbereitung der Abfälle an Land nach welchen Verfahren? (Abfall zur Beseitigung bzw Abfall zur Verwertung)?

Bärnthaler: Ja, der Reststoff muss entsorgt werden. Der Filterkuchen ist nichts anderes als Natriumsulfat (auch bekannt als Glaubersalz). Das ist also kein gefährlicher Abfall (NON Hazardous waste), also kein Schadstoff, ganz im Gegensatz zu dem Sludge bei den gebräuchlichen Closed-Loop Scrubbern der in speziellen Entsorgungsanlagen an Land entsorgt werden muss. Der Filterkuchen muss behandelt bzw deponiert werden. Dafür gibt es drei Möglichkeiten: Entweder Deponierung in einer Reststoffdeponie oder Recycling in einer Wiederaufbereitungsanlage oder Verwertung z.B. als Baustoff im Bergversatz in Kali- oder Salzbergwerken. Solvay hat einen Recycling-Weg aufgebaut indem das Natriumsulfat, bzw die Natriumkomponenten als Rohstoff für die Sodaascheproduktion wiederverwendet werden. Solvay betreibt zurzeit zwei Wiederverwertungsanlagen, eine in Frankreich und eine in Italien. Dort wird vor allem der Reststoff, oder das Reaktionsprodukt aus Müllverbrennungsanlagen, die Natriumbicarbonat als Einsatzstoff verwenden, wiederverwertet. In diesen Anlagen laufen jetzt auch Tests für die Wiederverwertung des Reststoffs der von der PIANA kommt.

VEUS-Shipping: Entstehen fĂĽr den Schiffseigner/Reeder fĂĽr den verbrauchten Filterkuchen Entsorgungskosten?

Bärnthaler: Ja. Die Entsorgungskosten sind in dem vorher genannten Betrag von 80 – 90 EURO pro Tonne Kraftsoff bereits enthalten.

VEUS-Shipping: Ganz im Gegensatz zu den bisherigen Closed-Loop-Systemen, bei denen mit dem Sludge schon häufiger „Schindluder“ betrieben wurde, ist hier eine ziemlich genaue Kontrolle möglich. In den Bordtagebüchern ist die empfangene Menge Natriumbikarbonat verzeichnet. Diese Menge muss in etwa der Summe des Filterkuchens entsprechen, der dann wieder entsorgt werden muss.

Bärnthaler: Richtig. Das kann man entsprechend messen. Der Silo hat einen Füllstand und über eine Füllstandsmessung kann ich meine Verbräuche zurückrechnen und zusätzlich haben wir Verbrauchsmessungen, das heißt wir messen auch, wie hoch der Verbrauch ist. . Es muss auch angemerkt werden, dass die Menge des Reststoffs ca. 80% der Menge des eingesetzten Backpulvers entspricht, d.h. aus 1 Tonne Natriumbicarbonat resultieren ca. 800 kg Reststoff.

VEUS-Shipping: Ein unschätzbarer Vorteil – die Port State Control wird’s freuen.   Auch dieser Scrubber hat sicherlich ein Monitoring-System, welches bei Nichteinhaltung der „Limits“ einen Alarm gibt (optisch, akustisch). Wie erfolgt die Dokumentation der Filterreinigungen?

Bärnthaler:   Ja, wir mĂĽssen einen Compliance-Report, gemäß der MARPOL-Richtlinien erstellen, das heiĂźt es gibt eine Dokumentation aus der ersichtlich ist wo sich das Schiff bewegt und wie hoch die Emissionswerte sind, die gemessen werden mĂĽssen. Mit unserem SeaSOxdry können wir alle erdenklichen systemrelevanten Messungen durchfĂĽhren und dokumentieren.

VEUS-Shipping: Welche Klassegesellschaften haben das Andritz-System bereits zertifiziert?

Bärnthaler: Der DNVGL hat unser System bereits zertifiziert. Mit anderen Gesellschaften sind wir im Gespräch.

VEUS-Shipping: Welchen Kundennutzen können Sie mit dem SeaSOxdry dem potentiellen Kunden „verkaufen“?

 Bärnthaler: Wir bieten folgende Kundennutzen:

  • Alle fossilen Kraftstoffe können mit dem System gefahren werden (also auch Schweröl!)
  • Wir garantieren die Einhaltung der MARPOL-Grenzwerte fĂĽr SO (Abscheidung auf 4,3 ppm oder 21,7 ppm SO Vol% CO2
  • Geringer Druckverlust im Filter 15 mbar
  • Keine Abwässer;
  • Keine Abgasfahne (“heiĂźe” Abgase);
  • Kein Zusatz bedenklicher Chemikalien
  • Partikel aller Größenordnung werden mit dem System zu mehr als 99,9% ausgefiltert. Gemessen wurden die Abscheideleistungen fĂĽr die Partikelgrößen  PM1 ( 1 µm), PM 2.5 ( 2,5 µm), PM 10 (10 µm) sowie aller Partikelgrößen (Total Solid Particulates)
  • Die Möglichkeit neben SO2- und Partikel auch NOx abzuscheiden
  • Abgase aus mehreren Quellen können gleichzeitig gereinigt werden;
  • Keine Dockung fĂĽr die Installation des Systems erforderlich;
  • Bisher Anerkennung durch französische Flagge

VEUS-Shipping: Herr Dr. Bärnthaler wir danken für das Gespräch

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Dipl. -Ing. Peter Pospiech
Redaktionsleitung bei VEUS-Shipping.com mit Schwerpunkt Schiffsbetriebstechnik, Transport, Logistik, Schiffahrt, Hafen und dem weitreichenden Thema Umweltschutz sowie gesetzliche Auflagen fĂĽr Antriebsmaschinen.