Mit Vollgas durch das Wattenmeer

MS WILLEM BARENTZ
MS WILLEM BARENTZ. Die weltweit erste mit Erdgas betriebene Inselfähre deren MTU-Ottomotoren mit variabler Drehzahl die Contra-Rotating VETH-Festpropeller antreiben

Komfortable Ăśberfahrten auf “grĂĽnen” Inselfähren

Das Wattenmeer erstreckt sich über 500 km entlang der Nordseeküste Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande. Es ist das weltweit größte zusammenhängende System von Sand und Schlick. Die UNESCO hat es 2009 zum Weltkulturerbe erklärt. Das Wattenmeer zu schützen, stellt Schiffsbetreiber und Reedereien vor Herausforderungen: Sie müssen ihre Verantwortung für besseren Schutz der Umwelt in Einklang bringen mit der Beförderung von jährlich rund einer Million Touristen.

Vor diesem Hintergrund hatte die niederländische Reederei Doeksen mit Sitz im friesländischen Harlingen zwei neue, in Vietnam in der Werft Strategic Marine gebaute Fähren, in Auftrag gegeben. Diese bündeln besonders umweltfreundliche Techniken und Materialien, um den Betrieb der Fähren so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Die als Katamarane konstruierten Fähren werden zwischen Harlingen auf dem Festland und den Inseln Terschelling und Vlieland eingesetzt.

Das Projekt leistet einen aktiven Beitrag zum Thema “Nachhaltige Entwicklungshäfen und Energiewende” aus dem Wattenfonds-Pionierprogramm 2012-2013. FĂĽr dieses Neubauprojekt gewährte der Wattenfonds der Rederij Doeksen einen Zuschuss in Höhe von 1.207.500 Euro.

Der neue, ausschließlich mit Erdgas betriebene, Katamaran der Rederij Doeksen, die MS WILLEM BARENTZ, hat am 3. Juli seinen Dienst aufnehmen. Das Schwesterschiff, WILLEM de VLAMINGH, folgt im September. Bei diesen Schiffen handelt es sich um die ersten Fähren der Niederlande, die nur Erdgas als Kraftstoff nutzen, und die ersten Schiffe der Welt mit reinen Gasmotoren die Fest-Ruderpropeller antreiben.

Die EinfĂĽhrung dieses neuen Erdgas-Fährschiff-Konzepts, kombiniert mit WärmerĂĽckgewinnung, effizienteren Rumpflinien, in Aluminium-Leichtbauweise, und Solarpaneelen, bedeutet eine deutliche Reduzierung der Schadstoffemissionen: – 10% C02, -90% Stickoxide (NOx), -100% Schwefeloxide (SOx), -95% Feinstaub. Die Reederei Doeksen hat es sich zum Ziel gesetzt, fossiles Erdgas schrittweise mit Bio-Erdgas zu mischen, sobald diese Art von Kraftstoff ausreichend verfĂĽgbar ist, um die C02-Emissionen noch weiter zu reduzieren.

Herausforderung bei der Detailkonstruktion des Schiffes

Das britische Naval ArchitekturbĂĽro BMT entwickelte die Schiffe vom vorläufigen bis zum detaillierten Produktionsentwurf. Sylvain Julien, Direktor fĂĽr Schiffsarchitektur, weist darauf hin: “Wie immer war es eine Herausforderung, ein Schiff aus Vollaluminium zu entwickeln, das den nationalen Vorschriften entspricht, die im Allgemeinen auf Stahlkonstruktionen basieren. Dennoch zeigt das Endergebnis neben einer sorgfältig optimierten Hullform die Vorteile in Bezug auf den niedrigen Energieverbrauch und, speziell fĂĽr die von der Rederij Doeksen ausgefĂĽhrten Fährrouten, den geringen Tiefgang”.

Elegantes Design und Interieur

Vripack, das friesische Yachtdesign-Studio aus Sneek, hat bei der Gestaltung des Innen- und AuĂźendesigns vor allem das Erlebnis fĂĽr den Gast in den Mittelpunkt gestellt.

Marnix Hoekstra, Partner und mitgestaltender Direktor bei Vripack: “Der Passagier steht bei der Konzeptentwicklung im Mittelpunkt. Es war wichtig, dass sich die Watteninseln (UNESCO-Welterbe) und das GefĂĽhl, das sie hervorrufen, im Ă„usseren und im Inneren widerspiegeln. Ein Weg, wie wir dies zu erreichen versuchten, war die Zusammenarbeit mit den Kindern der Inseln während des Entwurfsprozesses eines Teils des Innenraums. Das Wattenmeer als lebendes Gemälde inspirierte uns zu einer eigenen organischen Formensprache fĂĽr die neuen Schiffe. Sie schafft einen klaren Passagierfluss und stimmt die Funktionen der verschiedenen Räume auf eine Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen ab“. FĂĽr die Passagiere sollen die MS WILLEM BARENTZ und MS WILLEM de FLAMINGH also nichts weniger als ein schwebender Traum erscheinen.

MTU’s neuer Gasmotor ist der Antrieb

Der Hauptantrieb, eingebaut in den beiden Auftriebskörpern der neuen Katamarane, besteht aus je zwei schnelllaufenden 16-Zylinder-MTU-Gasmotoren vom Typ 16V 4000 M55RN die jeweils 1.492 Kilowatt bei einer Nenndrehzahl von 1.600/min an die VETH Azimuth-Contra Rotating Festpropeller, Typ VZ-1250 CR, ĂĽbertragen. In dieser Konstellation erreichen die Schiffe eine Geschwindigkeit von 14 kn. Die Gasmotoren unterschreiten die Grenzwerte aktueller Emissionsrichtlinien (IMO III) bereits ohne Abgasnachbehandlung erheblich – so liegt z.B. die Partikelmasse unter der Nachweisgrenze. Er stößt keine Schwefeloxide aus und nur geringe Mengen an Stickoxiden, sagt das Unternehmen.

Performance entspricht Dieselmotor

Die Gasmotoren sind mit einer Multipoint (Mehrpunkt)-Gaseindüsung, einer dynamischen Motorsteuerung und einer weiterentwickelten Turboaufladung ausgestattet. Die Multipoint-Gaseindüsung sorgt für ein dynamisches Beschleunigungsvermögen (Motoren fahren auf der Propellerkurve, entspricht variabler Drehzahl), eine hohe Leistung sowie eine Reduzierung der Emissionen. Die geregelte Verbrennung sorgt auch für einen effizienten Kraftstoffeinsatz. Dank der doppelwandigen Ausführung des Gassystems kann der Maschinenraum ähnlich wie bei einem Dieselantrieb ausgeführt werden.

Bordstromerzeugung

Doeksen hat bei der Planung der beiden Fahrzeuge großen Wert auf eine umweltfreundliche und energieeffiziente elektrische Stromerzeugung gelegt. Maschinenanlage, Querstrahlruder, nautische Einrichtungen sowie der umfangreiche Hotelbetrieb benötigen viel Strom.

So besteht die Stromerzeugung aus zwei reinen Gas-Gensets vom Typ SCANIA/Sandfirden GL 820 M. Sandfirden rĂĽstet dazu auf der Basis von V-8-Zyl. SCANIA Dieselmotoren, Typ SGI-16M (Leistung: 250 kW bei 1.500/min) auf Gasmotoren-Aggregate um. Die el. Leistung wird mit 294 kVA (236 kWe , bei 50 Hz angegeben.

Aus Abwärme wird elektrischer Strom: Wärmerückgewinnungsanlage

„Allein in Schiffsantriebssystemen gehen mehr als die Hälfte der im Treibstoff enthaltenen Energie als Abwärme verloren“, sagt Paul Melles, Geschäftsführer der Reederei Doeksen. Die Abwärme verpufft in die Luft. „Diese an Bord zur Erzeugung von elektrischem Strom zu nutzen, ist ein entscheidender Schritt nach vorne und für ein modernes Schiff ein absolutes Muss“.

Um die nicht unerheblich existierende Wärme in den Abgasen der Haupt- und Hilfsmotoren für den Antrieb eines elektrischen Generators zu nutzen, wurde jeder Katamaran mit zwei Efficiency Packs des Münchener Unternehmens Orcan Energy AG der 050.100-Klasse ausgestattet. Jedes Pack kann eine elektrische Leistung von 77 kW erzeugen. Die Efficiency Packs sind keine Dampfturbinen. In ihnen wird die Abwärme mit Hilfe des „Organic Rankine Cycle“ (ORC) genutzt. Dies ist ein physikalisches Prinzip, bei dem ein organisches Kältemittel einen Kreislauf durchläuft und Abwärme kontinuierlich in mechanische Arbeit umwandelt. Die Abwärme kann prinzipiell aus Abgasen, Kühlwasser, Dampf oder Thermoöl stammen. Im Falle der Katamaranfähren wird die Abwärme der Antriebs- und Hilfsmotoren durch Auskopplung der Wärme des Motorkühlwassers und der bis zu 500 °C heißen Abwärme genutzt.

Wärmeüberträger leiten die Abwärme des Motorkühlwassers und der Motorenabgase an den ORC-Kreislauf. Dort verdampft das Kältemittel – ein ungiftiger, nicht-brennbarer Kohlenwasserstoff – und wird als überhitzter Dampf der Expansionsmaschine zugeführt. Hier wird das unter Hochdruck stehende Kältemittel entspannt, wodurch die Expansionsmaschine angetrieben wird. Diese Rotationsenergie wird dann genutzt, um einen Generator anzutreiben, der wiederum Elektrizität erzeugt.

Nach der Expansionsmaschine wird das noch gasförmige Kältemittel im Kondensator wieder verflüssigt und anschließend von der Speisewasserpumpe erneut unter Druck gesetzt. Das Kältemittel hat nun den Kreislauf abgeschlossen und tritt wieder in den Verdampfer ein, um Abwärme aufzunehmen. Der so gewonnene saubere Drehstrom wird an Bord der Doeksen-Fähren von einem Umrichter in Gleichstrom umgewandelt, um die Akkus aufzuladen. Diese versorgen schließlich die Bugstrahlruder beim An- und Ablegen der Fähren und liefern damit etwa den gesamten Strom für das äußerst energieintensive Manövrieren im Hafen.

Das Ergebnis lässt sich sehen: Der Einsatz der zwei Efficiency Packs bedeutet für jede der beiden Fähren im Wattenmeer jährlich rund 318 Tonnen CO2 einzusparen sowie 260 to Treibstoff und 462.600 kWh elektrischer Strom pro Jahr!

Und dann sind da noch die Sonnenkollektoren.

Die sonst nicht genutzte Fläche auf dem Brückendeck wurde mit Sonnenkollektoren versehen, die in Summe 28 kWh erzeugen. Diese so erzeugte elektrische Energie wird ins Bordnetz eingespeist

Fahrprofil und LNG-Bunkerung

Die Fähren verkehren zwischen Harlingen (Festland) und den Inseln Terschelling sowie Vliland. Distanz zwischen Harlingen und Terschelling: 21 sm. Dafür benötigt die Fähre inkl. An- und Ablegemanöver rund 1,8 Stunden. Drei Rundreisen pro Tag sind geplant. Während der Nacht liegen die Fähren an der Pier und werden mit Landstrom versorgt.

Je ein LNG-Tank, hergestellt von dem niederländischen Unternehmen Cryovat (Nijkerk), ist in den beiden Schwimmkörpern eingebaut worden. Kapazität: rund 46 m3 LNG. Lt. Aussagen der Reederei reicht diese Menge, bei dem genannten Fahrprofil, für rund 1 Woche bevor in Harlingen wieder per Tank-LKW gebunkert wird.

Die neuen Doeksen-Katamarane wurden während des Baus von der Klassifikationsgesellschaft LR, Llyods Register begleitet, folglich auch abgenommen und klassifiziert (LR 100A1 SSC PASSENGER, CATAMARAN, LDC, G2, LMC, LFPF(GF, NG)

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Dipl. -Ing. Peter Pospiech
Redaktionsleitung bei VEUS-Shipping.com mit Schwerpunkt Schiffsbetriebstechnik, Transport, Logistik, Schiffahrt, Hafen und dem weitreichenden Thema Umweltschutz sowie gesetzliche Auflagen fĂĽr Antriebsmaschinen.