Privates Flüchtlingshilfsschiff AQUARIUS beginnt Einsatz im Mittelmeer

AQUARIUS auf SEE.
AQUARIUS auf SEE. © Christian Eckardt

Auf dem Weg in das Einsatzgebiet im Mittelmeer legte das neue Flüchtlingsschiff AQUARIUS vom Verein “SOS Méditerranée” unter dem Kommando von Kapitän Klaus Vogel Anfang Februar in Höhe des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven einen Stop an der Unterweser ein. Hier wurden die Crew und das Schiff offiziell von Bremens Bürgermeister Cr. Carsten Sieling (SPD), Bremerhavens Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) und dem Präsidenten der Bremischen Hafenvertretung, Hans-Jochen Schnitker, verabschiedet. Im Rahmen der Farewell-Zeremonie wurde abschließend im Flaggenmast der AQUARIUS die bremische Flagge, die so genannte „Speckflagge“, gehisst.

Aufziehen der Bremer Speckflagge: von links nach rechts: Hans-Joachim Schnitger, Melf Grantz, Carsten Sieling und Klaus Vogel.
Aufziehen der Bremer Speckflagge: von links nach rechts: Hans-Joachim Schnitger, Melf Grantz, Carsten Sieling und Klaus Vogel. © Christian Eckardt

Im Mai 2015 wurde von dem Kapitän Klaus Vogel in Berlin und wenige Wochen später in Paris, die europäische Initiative “SOS Méditerranée” gegründet – eine zivile, europäische Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer: „Das Mittelmeer ist die tödlichste Fluchtroute der Welt. Die See darf kein Grab für Menschen sein. Egal, woher sie kommen. Egal, wohin sie gehen“, erklärt Vogel die Gründungsidee des Vereins. Vogel war bisher Kapitän auf großen Containerfrachtern und die vielen Meldungen von Flüchtlingen, die auf der Überfahrt über das Mittelmeer ertrinken, machten ihn betroffen. Somit beschloss Vogel, selbst Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Dafür kündigte der 59 jährige jetzt sogar für zunächst ein Jahr seinen Job bei Hapag-Lloyd. Zwei von 100 Flüchtlingen, die über das Meer in kleinen Schlauchbooten nach Europa übersetzen, ertrinken klärte Vogel während eines Pressetermins im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven weiter auf. „Unsere Fahrt soll keine Show sein, sondern der erste Schritt zu einer zivilen Seeenotrettungsorganisation in Europa“ so Vogel weiter.
Als die italienische Marine ihre Operation “Mare Nostrum” im November 2014 zur Flüchtlingsrettung nach nur einem Jahr wieder einstellte, war dies die Initialzündung für Vogel, denn seit diesem Zeitpunkt starben noch mehr Menschen im Mittelmeer. Offizielle Zahlen sprechen von 3.700 Menschen, die im letzten Jahr auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken sind, die Dunkelziffer ist vermutlich noch viel höher. Vogel entwickelte darauf ein privat finanziertes Konzept für eine zivile Rettungsorganisation und konnte mittlerweile viele Menschen für seine Idee begeistern. Zusammen mit der Französin Sophie Beau gründete Vogel den Verein “SOS Méditerranée” und sammelte dafür bisher rund 750.000 Euro. Bei den Spendern handelt es sich um Privatpersonen aber auch Organisationen wie „Ärzte der Welt“ oder AWO International. Der bislang vorliegende Spendenbeitrag reicht zunächst für einen dreimonatigen Chartereinsatz der AQUARIUS als Flüchtlingsschiff im Mittelmeer, um dort schiffbrüchige Flüchtlinge im Meer zu retten. Die Idee von Vogel ist aber, dass aus dem Verein “SOS Méditerranée” eine langfristige europäische zivile Seenotrettung wird, ähnlich wie die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), die sich auch nur aus Spenden finanziert.

  • Melf Grantz, links und Carsten Sieling, rechts, vor der AQUARIUS
    Melf Grantz, links und Carsten Sieling, rechts, vor der AQUARIUS. © Christian Eckardt

Am Deutschen Auswanderhaus in Bremerhaven stellte sich die AQUARIUS vor dem Mittelmeereinsatz noch einmal der Öffentlichkeit vor, wobei die Unterweserstadt bei nicht zufällig ausgewählt wurde, hat doch einerseits die Betreibergesellschaft “Méditerranée Operation”, die die Mission koordiniert, ihren Sitz in Bremen. Weiterhin ist Bremerhaven selbst eine Stadt, die mit dem Thema Flucht und Auswanderung stark verbunden ist. In der Zeit zwischen 1830 und 1974 wanderten über die Pieranlagen der Seestadt über 7,2 Millionen Menschen nach Nord- und Südamerika und nach Australien aus. Auch damals waren es die gleichen Beweggründe für die Flüchtlinge wie heute, Sicherheit vor politischer Verfolgung, Arbeit, Frieden und Lebensglück. Auch wurde Bremen schon einmal zum Ausgangspunkt für die Rettung von Schiffbrüchigen als im Jahr 1854 vor Spiekeroog die Bark JOHANNE mit 216 Auswanderern sank und mangels Rettungsmöglichkeiten 84 Menschen ertranken. Als Folge wurden an der deutschen Küste Rettungsstationen und schließlich die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) gegründet, die seitdem ihren Sitz in Bremen hat.
Das Rettungsschiff AQUARIUS wird ab März für drei Monate zwischen Sizilien, Lampedusa und Libyen im Einsatz sein, im Abstand von rund 30 Seemeilen vor der Libyschen Küste, auf der Suche nach Booten. Die seemännische Crew während des Einsatzes im Mittelmeer wird durch zusätzliches Search-and-Rescue (SAR) Personal und einem Team der “Ärzte der Welt /Médecins du Monde” ergänzt, für deren Einsatz eine Krankenstation an Bord zur Verfügung steht. Die Einsätze werden von der Leitstelle Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) in Rom koordiniert, die auch organisiert, wohin das Schiff die geretteten Personen bringt. In der Regel würden die Menschen nach Kalabrien oder Sizilien gebracht. Vogel geht aufgrund der derzeitigen Spendeneinnahmen davon aus, dass das Schiff noch länger als die aktuell geplanten drei Monate im Einsatz ist, wenn möglich, so lange wie die AQUARIUS im Mittelmeer gebraucht wird. Da nationale Alleingänge im Mittelmeer nicht sinnvoll seien, habe der deutsche Verein “SOS Méditerranée” inzwischen auch ein französisches Pendant und einen italienischen Ableger gegründet. So wurden die Grundlagen geschaffen, die Rettungsaktionen nicht nach nur drei Monaten beenden zu müssen. “Ich hoffe, dass wir genug Geld sammeln können, um weiterzumachen”, sagte Vogel, “denn die Lage wird tendenziell eher schlimmer.”
Auf dem zweiwöchigen Weg der AQUARIUS von Deutschland in Richtung Lampedusa legte das Schiff ein Zwischenstopp in Marseille ein, wo das Rescue Team und das medizinische Team von Ärzte der Welt an Bord gingen. Zudem erfolgte vor der Aufnahme des Rettungsdienstes im Hafen von Lampedusa eine kurze Feierstunde mit der dortigen Bürgermeisterin Giusi Nicolini.
Lange Zeit bemühte sich der Verein um den Kauf des ehemalige, 1977 in den Niederlanden gebauten Lotsenversetzers MARKAB, der im kroatischen Hafen von Pula liegt. Dieses Schiff würde aber nur eine Rettungskapazität für 150 – 400 Personen bieten. Jedoch wurde man sich mit dem Eigentümer nicht einig, so dass vom Verein andere Schiffe in Betracht gezogen wurden. Eines davon war die AQUARIUS, die alle Anforderungen an ein ganzjährig einsetzbares Rettungsschiff erfüllt und für die man nur wenige Umbauarbeiten durchführen musste, um es für die neuen Zwecke nutzen zu können.
Das ehemalige Fischereischutzboot MEERKATZE ist mit einer Länge von 77 m, zwei schnellen Beibooten und Unterbringungskapazitäten für bis zu 500 Personen unter Deck sogar noch größer als die MARKAB. Die AQUARIUS wurde 1976/77 auf der Lürssen-Werft in Bremen gebaut und war bis 2009 unter bundesdeutscher Flagge als Fischereischutzboot im Nordatlantik als hochseetaugliches und robustes Schiff im Einsatz. Eigner ist heute die MV Aquarius GmbH & Co. KG im Management der Hempel-Shipping GmbH, Bremen, zuletzt wurde es als Accomodation Vessel für Windpark-Techniker in der Ostsee eingesetzt.
Die AQUARIUS unterscheidet sich beispielsweise von dem ebenfalls privaten Rettungsschiff SEA WATCH dadurch, dass dieses kleine Schiff keine Flüchtlinge an Bord aufnehmen kann, sondern diese nur auf Rettungsinseln versorgen kann. An Bord der AQUARIUS kümmert sich ein Team aus Ärzten, Krankenschwestern und einem Dolmetscher der Organisation “Ärzte der Welt” um die Flüchtlinge.

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Christian Eckardt
Redaktionsmitglied bei VEUS-Shipping.com mit Schwerpunkt Schifffahrt und Offshoretechnik.