Terror gegen Kreuzfahrtschiffe?

Der spektakulärste Terrorfall in der Geschichte der Kreuzfahrt war 1985 die Entführung der italienischen ACHILLE LAURO durch ein palästinensisches Terrorkommando.
Der spektakulärste Terrorfall in der Geschichte der Kreuzfahrt war 1985 die Entführung der italienischen ACHILLE LAURO durch ein palästinensisches Terrorkommando. © Linea Lauro, Archiv Kai Ortel

Anfang des Jahres haben diverse Medien ein Interview mit dem britischen Vize-Admiral Clive Johnstone aufgegriffen, der es für möglich hält, dass die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) Kreuzfahrtschiffe als geeignetes Angriffsziel für einen Anschlag ansieht. Auch bei Al-Qaida gab und gibt es nachgewiesenermaßen Gedankenspiele für Terrorangriffe auf Handelsschiffe, und die Organisation Abu Sajaf ist mit der Fähre SUPERFERRY 14 nach wie vor für den schwersten Terroranschlag gegen ein Passagierschiff überhaupt verantwortlich (116 Tote). Wie wahrscheinlich ist also kurz- und mittelfristig die Gefahr eines terroristischen Anschlags gegen ein Kreuzfahrtschiff?

Diese Frage haben wir in Form eines Fragenkataloges den 15 weltgrößten Kreuzfahrtreedereien gestellt – und stießen dabei auf eine Mauer des Schweigens. Von den 12 Unternehmen, die uns geantwortet haben, hieß es bei 5: kein Kommentar. Und die übrigen 7 verwiesen an den Branchenverband „Cruise Lines International Association“ (CLIA), dessen deutsche Niederlassung wir daher um ein Interview zu dem Thema gebeten haben. Auch diese Anfrage wurde jedoch abgelehnt, stattdessen nahm die CLIA auf Basis ihrer eigenen „Security Guidelines“ in Form des folgenden schriftlichen Statements Stellung:

„Die Sicherheit von Passagieren und Crewmitgliedern hat jederzeit höchste Priorität. Grundsätzlich sind Gewalttaten gegen Kreuzfahrtschiffe selten. Die Kreuzfahrtreedereien arbeiten eng mit nationalen und internationalen Polizei- und Sicherheitsbehörden zusammen. Schiffe der CLIA-Mitgliedsreedereien verfügen über speziell ausgebildetes und erfahrenes Sicherheitspersonal – u. a. ehemalige Mitglieder von Polizei- und Sicherheitsbehörden. Häfen und küstennahe Gebäude, Infrastruktur sowie Sicherheits- und Servicedienste für Passagiere werden in allen Destinationen streng geprüft. Sofern Bedenken gegenüber der Sicherheit von Destinationen und Routen besteht, haben Kreuzfahrtschiffe die Möglichkeit, unverzüglich ihre Reiseroute anzupassen, um Gebiete mit erhöhtem Risiko zu umfahren. Die einzelnen Maßnahmen und Protokolle werden aus Sicherheitsgründen nicht offengelegt.“

 

Doch inwieweit halten diese Beteuerungen einer ĂśberprĂĽfung stand?
Gewiss, Gewalttaten gegen Kreuzfahrtschiffe sind in der Tat selten. Die Entführung der ACHILLE LAURO (1985) liegt 31 Jahre zurück, das Massaker auf der CITY OF POROS (1988) 28 Jahre und die Entführung der AVRASIYA (1996) 20 Jahre. Danach waren große Kreuzfahrtschiffe vor allem dann in den Schlagzeilen, wenn sie während der Passage des Golfs von Aden von Piraten angegriffen wurden (SEABOURN SPIRIT 2005, LE PONANT, NAUTICA und ASTOR 2008, BALMORAL und MELODY 2009, AZAMARA JOURNEY 2012). Doch es sind auch, was weit weniger bekannt ist, bereits Terroranschläge auf Kreuzfahrtschiffe verhindert worden. So scheiterte ein Bombenattentat der Hisbollah mit Hilfe eines mit Sprengstoff beladenen LKWs auf ein israelisches Kreuzfahrtschiff (vermutlich die ROYAL IRIS) 2003 im türkischen Antalya nur daran, dass die Geheimdienste von dem Anschlag rechtzeitig Wind bekommen und den Anlauf des Schiffes abgesagt haben. Ein ähnlicher Anschlag konnte auch 2005 verhindert werden, als ebenfalls in Antalya neben großen Mengen Sprengstoff auch gefälschte Pässe gefunden wurden. Dass es seitdem keinen erfolgreichen Terroranschlag gegen ein Kreuzfahrtschiff gegeben hat, dürfte also weniger daran liegen, dass es keine entsprechenden Planungen gegeben haben, sondern dass Polizei und Geheimdienste bereits im Vorfeld gute Arbeit leisten und dass, wie die CLIA betont, die Kreuzfahrtreedereien in der Tat eng mit nationalen und internationalen Polizei- und Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten.

Auch dass die Schiffe der CLIA-Mitgliedsreedereien über speziell ausgebildetes und erfahrenes Sicherheitspersonal verfügen, ist belegt; viele Trainingsprogramme wurden sogar in Zusammenarbeit mit Polizei und Geheimdiensten speziell für die Kreuzfahrtindustrie entwickelt. So beschäftigt Princess Cruises die für ihre Furchtlosigkeit bekannten nepalesischen Ghurkas, während MSC Crociere in Sachen Sicherheit an Bord auf ehemalige Mossad-Agenten zurückgreift. Heikel wird es jedoch bei der Frage nach der Bewaffnung, die nämlich kaum ein Flaggenstaat für ein Handelsschiff erlaubt. Allerdings gelangte 2014 ein Foto in die Medien, das den Kapitän der COSTA ATLANTICA zusammen mit einer Frau zeigte, wie diese auf der Kommandobrücke ein halbautomatisches Maschinengewehr in der Hand hält. Ob die Waffe von den Soldaten stammte, welche die COSTA ATLANTICA zum Zeitpunkt des Fotos im Golf von Aden vor Piratenangriffen schützen sollten oder aus einem Arsenal an Bord, ist offen. Auch beim Piratenangriff auf die MELODY waren die Sicherheitsmitarbeiter an Bord mit Pistolen bewaffnet. Tatsächliche Piratenangriffe haben jedoch gezeigt, dass diese nur mit Mühe und keineswegs unter Zuhilfenahme scharfer Waffen abgewehrt werden konnten; stattdessen kamen in diesen Fällen LRAD-Technik (Low Range Acoustic Device) und Hochdruck-Wasserschläuche (SEABOURN SPIRIT) sowie Signalraketen und sogar hölzerne Gewehrattrappen (BALMORAL) bzw. über Bord geworfene Deckstühle (MELODY) zum Einsatz. Dass mit diesen Mitteln ein professionell geplanter Terroranschlag oder eine Schiffsentführung verhindert werden können, erscheint leider eher unwahrscheinlich.

 

Auch dass die „Häfen und küstennahen Gebäude, Infrastruktur sowie Sicherheits- und Servicedienste für Passagiere in allen Destinationen streng geprüft“ werden, mag zwar für die wichtigsten Kreuzfahrtreviere der Welt gelten, doch wie ist es um die Sicherheit von Passagieren und Schiffen in weit abgelegenen, selten angelaufenen Häfen z. B. in Asien oder Afrika bestellt? Natürlich: Der Zugang für Passagiere und Besatzungsmitglieder zu den Schiffen wird seit der Einführung des ISPS-Codes Anfang 2004 streng kontrolliert. Es erfolgen sowohl an Land als auch an Bord Personen-, Gepäck- und Warenkontrollen, z. B. auf geschmuggelte Waffen, Drogen und andere gefährliche Gegenstände hin. Die Bordkarte muss inzwischen oft bereits beim Betreten des Hafengeländes vorgezeigt werden (was allerdings nicht möglich ist, wo Passagierwechsel vorgenommen und diese Bordkarten überhaupt erst ausgestellt werden). Indes zeigt die Praxis, dass sowohl Personen- als auch Gepäckkontrollen auch schon einmal sehr lax gehandhabt werden, wenn z. B. Landausflügler verspätet zum Schiff zurückkehren oder wenn ein Hafen mit dem riesigen Passagieraufkommen mehrerer Mega-Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig einfach nicht fertig wird. Dann wird man als Passagier auch schon einmal an den Kontrollen vorbeigeschleust, einfach damit es schneller geht.
Andererseits sind Kreuzfahrtschiffe inzwischen nicht nur während der Liegezeit im Hafen gut vor Eindringlichen und potentiellen Terrorattacken geschützt, wo nach den Erfahrungen mit dem Zerstörer USS COLE und dem Tanker LIMBURG um das Schiff herum oftmals eine gut überwachte Sicherheitszone gebildet wird, sondern auch auf See. Insbesondere die modernen Mega-Kreuzfahrtschiffe von mehr als 100.000 BRZ Größe gleichen hier schwimmenden Festungen, deren Kaperung und Entführung so gut wie ausgeschlossen erscheint. (Die Entführung des Supertankers SIRIUS STAR im Jahr 2008 hat jedoch gezeigt, dass auch ein 332 Meter langes und 58 Meter breites Schiff nicht vor einer Kaperung sicher ist.) Das sieht aber bei kleinen Expeditionskreuzfahrtschiffen, die darüber hinaus oftmals auch noch in abgelegenen Regionen unterwegs sind, schon wieder anders aus. Diese Schiffe dürften mit ihren niedrigen Bordwänden und geringen Besatzungsstärken insbesondere bei Nacht weit eher als Ziel z. B. einer Schiffsentführung in

Frage kommen als die groĂźen Kreuzfahrer auf ihren immer wiederkehrenden Routen in den immer selben gut ĂĽberwachten Kreuzfahrtrevieren.
Alle guten Bemühungen, Kreuzfahrtschiffe von Land und vom Wasser aus zu schützen, bedeuten jedoch noch nicht, dass die Schiffe nicht verwundbar wären im Falle eines Terrorangriffes von der Luft aus. Dass Passagierflugzeuge als fliegende Terrorbomben missbraucht werden können, gegen die jede Schutzmaßnahme zwecklos ist, haben ja die Anschläge vom 11. September 2001 gezeigt. Leider ist seitdem jedoch auch noch die Gefahr hinzugekommen, dass Terroristen Anschläge mittels ferngesteuerter bewaffneter Drohnen ausführen, denen wohl auch ein großes Kreuzfahrtschiff nicht viel entgegenzusetzen hätte.
Es ist daher vielmehr der vierte Punkt, auf den die Kreuzfahrtindustrie fast gebetsmühlenartig hinweist, wenn es um die Frage nach einem möglichen Terror- oder Piratenangriff gegen ein Kreuzfahrtschiff geht. Schiffe haben den Vorteil, dass sie mobil sind, jeder möglichen Gefahrensituation also sowohl kurzfristig als auch bereits lange im Voraus aus dem Weg gehen können, indem sie das Gefahrengebiet einfach nicht anfahren. In der Tat ist die Geschichte der Kreuzfahrtindustrie gespickt mit Jahren, in denen wie auch aktuell Häfen im Östlichen Mittelmeer, aber auch solche im Roten Meer, in Afrika oder in Südostasien aus geopolitischen Gründen nicht angelaufen wurden. Doch auch hier ist die Branche nicht konsequent; so werden z. B. dieselben Häfen und Länder von manchen Reedereien angelaufen, von anderen wiederum nicht. Viele Unternehmen orientieren sich dabei zwar an den offiziellen Reisewarnungen ihrer Regierungen, doch ist ein Umrouten immer auch mit neuen Risiken und Kosten verbunden. Unter Umständen geschieht es so kurzfristig, dass sich das betroffene Schiff auf den neuen Routen nicht mehr füllen lässt; außerdem sind Ausweichreviere und –routen mitunter bereits von anderen Schiffen/Reedereien besetzt, so dass man dort nur Überkapazitäten schafft oder das Preisniveau senkt. Ein Umrouten zu lange im Voraus wiederum birgt das Risiko, dass die ursprüngliche Gefahrensituation unter Umständen gar nicht mehr existiert, wenn das Schiff plötzlich ganz woanders eingesetzt ist und man sich völlig unnötig eines lukrativen Marktes beraubt hat.
Dass aus Sicherheitsgründen weder die CLIA noch die Kreuzfahrtreedereien die einzelnen Maßnahmen und Protokolle für den Terrorfall offenlegen, ist dagegen naheliegend, da dies mitunter nicht nur gegen geltendes Recht verstieße, sondern auch potentiellen Terroristen in die Hände spielen könnte. Trotzdem besteht natürlich in der Öffentlichkeit ein Interesse daran, zu erfahren, in welcher Form die Anbieter auf einen möglichen Terrorangriff vorbereitet sind und wie in diesem Fall die Problemlösungsansätze und Rettungsszenarien aussehen. Abgesehen davon, dass während der oben erwähnten Piratenattacken im Golf von Aden die Passagiere jedes Mal im Schiffsinnern versammelt wurden und das Schiff so weit wie möglich abgedunkelt wurde, lassen sich die Reedereien hier aber nicht in die Karten gucken. Allerdings simulieren die Besatzungen regelmäßig solche und andere sicherheitsrelevanten Notfallübungen an Bord, sowohl auf See als auch im Hafen. Auch deckt auf den allermeisten modernen Kreuzfahrtschiffen eine umfassende Video-Überwachung (CCTV) fast alle öffentlichen Bereiche an Bord ab, jedweder sicherheitsrelevante Zwischenfall kann also frühzeitig entdeckt und entsprechend darauf reagiert werden. Viele Reedereien vor allem in den USA lassen außerdem ihre Passagier- und Besatzungslisten mit den aktuellen Verbrecher- und Terrordatenbanken von Polizei und Geheimdiensten abgleichen, um zu verhindern, dass Terrorzellen an Bord operieren können.

Doch trotz alledem: Der an Bord von Kreuzfahrtschiffen zum Ausdruck kommende Lebensstil, der auf Genuss, Lebensfreude, Freizügigkeit und Unterhaltung ausgerichtet ist, ist islamistischen Terrorgruppen bekanntermaßen besonders verhasst. Auch hätte ein großes Kreuzfahrtschiff als Anschlagsziel einen hohen Symbolwert, da dort große Menschenmengen auf vergleichsweise engem Raum konzentriert sind. Das Kentern, Versenken oder In-Brandsetzen eines großen Kreuzfahrtschiffes könnte außerdem durchaus eine ähnliche Opferzahl wie bei den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon 2001 bedeuten. Immerhin sind Passagierschiffe wegen der Baumaxime der Gewichtsreduzierung mit ihren dünnen Stahlwänden nicht dafür gebaut, einer großen Sprengstoffexplosion standzuhalten. Dass sogar schon ein Felsen ausreicht, den Rumpf eines Kreuzfahrtschiffes regelrecht aufzuschlitzen und dieses zum Kentern zu verbringen, hat leider 2012 die Havarie der COSTA CONCORDIA gezeigt. Auf der philippinischen Fähre DON RAMON genügte dagegen 2005 eine von Abu Sajaf-Terroristen nahe den Gaszylindern in der Schiffsküche deponierte Bombe mit Zeitzünder, das komplette Schiff zu versenken.
Darüber hinaus sind amerikanische/westliche Kreuzfahrtschiffe inzwischen weltweit unterwegs, ein Terrorangriff muss also nicht notwendigerweise in amerikanischen oder europäischen Gewässern stattfinden, wo die technischen und organisatorischen Hürden für einen Angriff besonders hoch sind. Auch besteht eine hohe potenzielle Gefährdung der Passagiere oftmals weniger an Bord als vielmehr während der Landgänge im Hafen. Zwar war das Terrorattentat im Bardo-Museum in Tunis am 18. März 2015, bei dem 20 Touristen getötet wurden (darunter Landausflugsgäste der COSTA FASCINOSA und der MSC SPLENDIDA), nicht ausdrücklich auf Gäste von Kreuzfahrtschiffen gerichtet. Doch ein rechtzeitiges Umrouten war auch hier nicht erfolgt, da man die Gefahr eines Terrorattentats in diesem Hafen schlicht nicht auf dem Schirm gehabt hat. Auch sind Passagierschiffe gerade in weniger stark gesicherten Häfen vor allem während des Bunkervorgangs im Hafen einer hohen potenziellen Gefährdung ausgesetzt, wo Terroristen einen mit Treibstoff voll beladenen Tanker als schwimmende Bombe einsetzen könnten.
Das berühmte „Restrisiko“ existiert also in Sachen Terrorgefahr auch auf internationalen Kreuzfahrten. Zwar tun die Kreuzfahrtreedereien alles in ihrer Macht stehende, um den Aufenthalt an Bord und an Land so sicher wie möglich zu machen, was in Form von Personenscannern, Gepäckkontrollen, codieren Bordkarten und Videoüberwachung mitunter schon totalitäre Züge angenommen hat. Wie überall in der westlichen Welt bleiben jedoch auch Schiffe und Häfen Orte, an denen man sich frei bewegen können möchte. Dass es Menschen gibt, die genau dies auszunutzen versuchen und hierzu womöglich technisch und organisatorisch auch imstande sind, gehört leider zu den traurigen Merkmalen des Alltagslebens im 21. Jahrhundert.
www.cliadeutschland.de und www.cruising.org und www.cruiseforward.org

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Kai Ortel
Redaktionsmitglied bei VEUS-Shipping.com mit Schwerpunkt Kreuz- und Fährschifffahrt.