Nordfriesischer Kreistag fordert Aufklärung

Gestrandete GLORY AMSTERDAM.
Gestrandete GLORY AMSTERDAM. © Havariekommando

Fraktionen beantragen Resolution

Die Kreistags-Fraktionen Nordfrieslands wenden sich mit einer Resolution an den zuständigen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), die Landtagsfraktionen und an die schleswig-holsteinischen Bundestagsabgeordneten. Die Kreistagsmitglieder haben kein Verständnis dafür, dass fast zwanzig Jahre nach der PALLAS-Havarie wieder ein Schiff (die GLORY AMSTERDAM) – diesmal sogar mit vollständiger Besatzung und nicht brennend (wie im Fall der PALLAS) – rund zwölf Stunden auf die ostfriesische Küste zutreiben konnte und eine Strandung von dem sogenannten Havariekommando nicht verhindert werden konnte. Die Kreistagsmitglieder fordert die Bundesregierung auf, alle rechtlichen und erforderlichen Bedingungen / Voraussetzungen für die Aufstellung einer nationalen Küstenwache zu schaffen. Aufgrund der Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit ist es zwingend erforderlich, die bestehenden Strukturen auf den Prüfstand zu stellen und zu hinterfragen ob sie einem modernen maritimen Unfallmanagement überhaupt entsprechen.

Die Kreistagsresolution:

„Als vor fast 20 Jahren, am 29.10.1998, der brennende Holzfrachter „Pallas“ vor der Nordseeinsel Amrum strandete, war der Kreistag Nordfriesland in großer Sorge. Trotz des Einsatzes von Hubschraubern und mehreren Schleppschiffen konnten die Strandung und ihre Umweltfolgen durch den Austritt von min. 244t Schweröl damals nicht verhindert werden.

In den darauffolgenden Jahren wurde – nicht zuletzt aufgrund von Forderungen des Nordfriesischen Kreistages – vieles für mehr Sicherheit an den deutschen Küsten von Nord- und Ostsee getan. So wurden als Ergebnis der Aufarbeitung der PALLAS-Havarie unter anderem das Havariekommandos in Cuxhaven als gemeinsame Koordinierungseinrichtung von Bund und Küstenländern eingerichtet sowie das vorhandene Notschleppkonzept überprüft und unter anderem um sogenannte „Boardingteams“ erweitert. Zur Umsetzung des Konzeptes werden von der Bundesregierung besonders leistungsfähige, auch flachwassertaugliche Notschlepper vorgehalten.

Durch die Strandung des Frachters GLORY AMSTERDAM am 29. Oktober 2017 vor der Insel Langeoog ist der Nordfriesische Kreistag wieder sehr beunruhigt und fordert solidarisch mit den Küstenkreisen der niedersächsischen Küste dringend eine Aufklärung der Vorgänge. Deshalb teilt auch der Kreistag die Sorgen und Forderungen der niedersächsischen Landräte und Oberbürgermeister sowie der sieben Insel-Bürgermeister und unterstützt ausdrücklich die Forderungen des Landkreises Aurich an den zuständigen Bundesverkehrsminister

  1. den zügigen Abschluss der Untersuchung der Havarie durch die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) und Veröffentlichung des BSU-Untersuchungsberichtes sowie
  2. die Veröffentlichung der Einsatzkonzepte des Havariekommandos, damit die Küstenanrainer sich über das geplante Vorgehen im Einsatzfall vorab informieren können.

Es ist für den Kreistag unverständlich, dass zwanzig Jahre nach der PALLAS-Havarie wieder ein Schiff – sogar mit Kapitän und Besatzung, jedoch ohne Feuer an Bord – zwölf Stunden auf die deutsche Küste zutreiben konnte und eine Strandung nicht verhindert wurde.

Der Kreistag fordert dringend eine Antwort darauf, welches Glied der staatlichen Rettungskette versagt hat, so dass bei keinesfalls extremen Wetterbedingungen das Ziel des Notschleppkonzeptes der Bundesregierung, die Verhinderung der Strandung eines havarierten Schiffes, durch das Havariekommando nicht erreicht wurde.

Nach den uns vorliegenden Informationen, die unter anderem auf Presseberichten, Zeitungsartikeln und Pressemitteilungen des Havariekommandos beruhen, war der Notschlepper NORDIC bereits um 8:10 Uhr innerhalb der im Notschleppkonzept vorgesehenen Zeit rechtzeitig einsatzbereit bei der GLORY AMSTERDAM eingetroffen, um eine Notschleppverbindung herstellen zu können. Nach eigenen Angaben hatte das Havariekommando die Gesamteinsatzleitung um 9:45 Uhr, neun Stunden vor der Strandung gegen 18:45 Uhr, übernommen. Für uns stellt sich die Frage, warum erst vier Stunden später, nach Presseberichten nach 12:30 Uhr, mit dem Herstellen einer Notschleppverbindung begonnen wurde.

Ebenso ist es für uns verwunderlich, dass das Aufnehmen des Boarding-Teams Nordsee von der Winschfläche des Notschlepper NORDIC durch einen Hubschraubers der Bundespolizei erfolglos blieb. Sowohl bei der Besatzung des Notschleppers NORDIC als auch bei den Besatzungen der Hubschrauber der Bundespolizei handelt es sich nach unserer Kenntnis um exzellent ausgebildete, hochmotivierte Seeleute und Luftfahrzeugführer.

Nach Medienberichten begründet das Havariekommando diese erfolglosen Aufwinschversuche mit der schlechten Wetterlage, obwohl an diesem Tag in der Deutschen Bucht uneingeschränkt Lotsen von anderen, zivilen Hubschraubern aufgenommen oder abgesetzt wurden. Auch diese Hubschrauber stehen dem Hava-riekommando bei „Komplexen Schadenslagen“, zusätzlich zu den Hubschraubern der Marine und der Bundespolizei, für Einsätze zur Verfügung.

Sollte tatsächlich die Wettersituation beim Havaristen zu schlecht gewesen sein, hätte unseres Erachtens eine Aufnahme des Boarding-Teams durch den Hubschrauber in windgeschützteren Gewässern, zum Beispiel in der Jade im Bereich „Minsener Oog“, erfolgen können. Diese Maßnahme wurde nicht durchgeführt, sondern stattdessen mit großem Zeitaufwand das Boarding-Team Ostsee aus Warnemünde auf die GLORY AMSTERDAM gebracht.

Nach Auffassung des Nordfriesischen Kreistages muss ein zeitgemäßes staatliches maritimes Unfallmanagement in den Einsatzkonzepten und Verfahrensanweisungen Maßnahmen vorsehen, um

  1. bei Verständigungsproblemen mit dem Havaristen die Kommunikation zu verbessern, z. B. durch das Absetzen eines Lotsen oder eines HK-On-Scene-Coordinators,
  2. bei Einsatz eines Notschleppers rechtzeitig Einsatzkräfte zur Herstellung einer Notschleppverbindung auf dem Havaristen absetzen zu können, z. B. durch die Alarmierung der Boarding-Teams Nordsee und Ostsee,
  3. bei witterungsbedingten Problemen beim Aufwinschen des Boarding-Teams durch einen Hubschrauber den Einsatz eines solchen Teams auf dem Havaristen zu ermöglichen z. B. durch die Verlegung in windgeschütztere Gewässer,
  4. bei Weigerung eines Havaristen eine schifffahrtspolizeiliche Anordnung zur Annahme von Notschlepphilfe durchzusetzen, z. B. durch das Absetzen von Vollzugskräften,
  5. bei der Vorbereitung eines Notschleppeinsatzes den Havaristen über das geplante Vorgehen zu informieren, z. B. durch Übersendung von bebilderten, mehrsprachigen Handlungsanweisungen über In-MarSat-Fax oder E-Mail.

Der Kreistag Nordfriesland fordert die Bundesregierung dringend auf, diese Maßnahmen in die Einsatzkonzepte und Verfahrensanweisungen ihres maritimen Unfallmanagements aufzunehmen und dem Kreistag spätestens bis zum 20. Jahrestag der PALLAS-Havarie dazu zu berichten.“

Begründung:

Nach der Strandung des Holzfrachters PALLAS vor der Insel Amrum vor annähernd 20 Jahren wurde seitens des Bundes das Havariekommando in Cuxhaven eingerichtet und das Notschleppkonzept überarbeitet. Die Nichtverhinderung der Strandung der GLORY AMSTERDAM am 29.10.2017 hat bewiesen, dass die geschaffenen Strukturen, Konzepte und Kompetenzen nicht funktioniert haben.

Angesichts der Bedrohung, auch für das nordfriesische Wattenmeer, besteht dringender Handlungsbedarf.

Hinsichtlich der Havarie der GLORY AMSTERDAM besteht der Anschein, dass Einsatzkonzepte und Verfahrensweisen, evtl. auch Kompetenzen des Havariekommandos nicht ausreichend bzw. nicht geeignet waren.

Bereits seit der Havarie der PALLAS vor der Nordseeinsel hat der Kreistag immer wieder gefordert, die Sicherheitsstrukturen in der Deutschen Bucht anzupassen.

Zuletzt am 1.4.2011 forderte der Kreistag:

Der Kreistag des Kreises Nordfriesland fordert die Bundesregierung und die Fraktionen des Bundestages auf, alle rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Schaffung einer nationalen Küstenwache in eigenständiger Form mit allen Zuständigkeiten zur Gefahrenerforschung und -abwehr auf See zu schaffen und dem Deutschen Bundestag einen entsprechenden Gesetzesentwurf schnellstmöglich zuzuleiten.

Aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit und auch jetzt bei der Strandung der GLORY AMSTERDAM wird für uns ersichtlich, dass es erforderlich ist, die vorhandenen Strukturen zu überprüfen, ob sie einem modernen Unfallmanagement entsprechen.

Sind die Strukturen für schnelle Entscheidungen geeignet?

Stehen die im Havarievertrag vereinbarten Mittel des Bundes und der Küstenländer unter den derzeitigen Strukturen unverzüglich und umfassend zur Verfügung?

Wie lautet das Einsatzkonzept des Havariekommandos zur Umsetzung des Notschleppkonzeptes des Bundes im vorliegenden Fall?

Welche Glieder in der Rettungskette haben denn versagt?

Oder haben die Abläufe gezeigt, dass auch eine veränderte Betrachtung der föderalen Strukturen erforderlich ist, damit das Seeunfallmanagement effektiver wird?

Es ist richtig und wird auch vom Kreistag Nordfriesland nicht bestritten, das kein Führungssystem eine Havarie auf See vermeiden kann, egal wie es genannt und strukturiert wird. Da helfen auch keine Küstenwachen, um technische Ausfälle zu verhindern. Aber es geht bei der Sicherung der Küsten nicht nur um die Bekämpfung von stattgefundenen Havarien und die Verhinderung von Schäden.

Es geht um ein zukünftiges Sicherungssystem, das möglichst alle Komponenten von „Safety“ (Schiffsunfälle) und „Security“ (Sicherheitslagen) beinhaltet. Die Sicherheitslagen haben sich verändert seit PALLAS, neue Gefahren sind hinzugekommen. Denn aus einer kleinen technischen Panne kann sich schnell eine Katastrophe entwickeln. Daher ist eine umfassende Betrachtung der Lage erforderlich, Einsatzkonzepte müssen vorher entwickelt werden, die dann auch sofort angewendet werden. Das kann unter der derzeitigen Struktur vorgenommen werden, aber der Kreistag Nordfriesland ist der Auffassung – und das seit vielen Jahren – dass die Debatte auch unter dem Gesichtspunkt der Schaffung einer Deutschen Küstenwache geführt werden muss.

In dem im letzten Frühjahr vorgelegten Arbeitspapier von SDN, Insel- und Halligkonferenz und Nautische Vereine heißt es:

„Die Vielzahl an Behörden, Organisationen und Schnittstellen mit teilweise überlappenden Zuständigkeiten macht vor Deutschlands Küsten ein koordiniertes Handeln zur Bewältigung von herausragenden Einsatzlagen, welche eine effektive gemeinschaftliche Zusammenarbeit dieser Institutionen erfordern, oft schwierig und kostspielig. Die vorhandenen Führungsstrukturen müssen gestrafft werden, um bei der täglichen Aufgabenwahrnehmung, aber auch in besonderen Einsatzlagen schnell und kompetent reagieren zu können.

Die im „Maritimen Sicherheitszentrum“ (MSZ) vorhandenen Kräfte der Bundespolizei See, Havariekommando, Zoll und Fischereiaufsicht müssen als „Deutsche Küstenwache“ zusammengefasst und dem Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums zugeordnet werden.

Die Schnittstellen zur Wasserstraßen-und Schifffahrtsverwaltung des Bundes sowie zur Deutschen Marine und zur WSP-Leitstelle bleiben zunächst unberührt. Ziel ist es, alle Vollzugsorgane See auf Bundes-und Landesebene in einer einheitlich geführten „Deutschen Küstenwache“ zusammenzufassen.“

Die Fraktionsmitglieder:
M. Uekermann (CDU), T. Nissen (SPD), U. Schwalm (Bündnis 90 / Die Grünen), J. Jungclaus (WG-NF), U. Stellfeld-Petersen (SSW), H. Deyerling (Die Linke), J. Tessin (FDP)

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